Unechte Models: Virtuelle Influencer erobern das Netz

In welche Richtung sich der Trend entwickelt, wurde auf der weltweit größten Technikmesse Consumer Electronics Show (CES) im Januar in Las Vegas ­deutlich. Dort zeigte das ­Unternehmen ­Starship Labs, eine Samsung-­Tochter, seine neue Plattform Neon. In ihrem Herzen arbeitet eine Software namens Core R3, die die Bewegungen von Menschen aufzeichnet und sie in bewegte 3D-Bilder umwandelt. Das Ergebnis ist täuschend echt. Die Technik lernt sogar aus 2D-Videoaufnahmen.

Liam Nikuro ist der erste virtuelle Influencer mit japanischen Wurzeln mit über 15.000 Followern auf Instagram. Er hat es aufs Cover des Tokyo Weekender geschafft, der größten englischsprachigen Zeitschrift in Japan. (Screenshot: lilmiquela, Instagram / liam_nikuro)

Die Demo-Avatare haken zwar, wenn man sich mit ihnen live unterhalten möchte, für die Zukunft bergen sie aber ein enormes Potenzial. Vor allem für Kommunikation, die nicht in Echtzeit erfolgt. Die Technik wird zunehmend besser und günstiger. Künstliche Doppelgänger könnten bald als Online-Trainer oder Berater ihr echtes Pendant ersetzen. Oder in der Öffentlichkeitsarbeit: Was wäre, wenn Christiano Ronaldos Avatar seine Fans bei einer Sportkonferenz begrüßt, während er selbst am anderen Ende des Planeten Fußball spielt? Sein Management könnte einfach einen PR-Text schreiben und den Avatar sprechen lassen.

Es gibt bereits bekannte Persönlichkeiten, die sich virtuelle Doppelgänger leisten. Die Performance-Künstlerin Marina ­Abramovic hat sich von dem Berliner Unternehmen Mimic ­Productions komplett scannen lassen und nutzt ihren ­identischen Avatar für ihre künstlerische Arbeit. Das tut auch der Krimiautor Sebastian Fitzek. In der Werbung für sein Hörbuch tritt er nur zur Hälfte auf. Vom Hals aufwärts ist es sein virtuelles Ebenbild, das sagt: „Ich bin ein Albtraum, der darauf wartet, dass du schläfst!“, während sich dunkle Flüssigkeit, eine Animation, über seinen Kopf ergießt.

Das Marketing hat längst erkannt, dass mit 3D-Models sehr flexibel gearbeitet werden kann. Für einfachere Produktionen muss nicht mehr auf die Kanaren geflogen und fotografiert oder gedreht werden. Die Bilder und Videos lassen sich komplett am Rechner erstellen. So sind selbst Sets auf dem Mond oder an ausgefallen Locations denkbar. Außerdem, das weiß auch der ­Fotograf Cameron-James Wilson, sind virtuelle Influencer viel pflegeleichter: „Digitale Models sind pünktlich, verlässlich und zicken nicht rum“, sagt er mit einem Augenzwinkern.

Auch der Philosoph Indset kann sich vorstellen, in Zukunft ­einen künstlichen Doppelgänger auf Veranstaltungen zu schicken, um seine Gedanken mit möglichst vielen Menschen zu teilen. ­Allerdings ist das für ihn nur die zweitbeste Möglichkeit: „Für mich ist der Faktor ,Mensch‘ entscheidend. Eigentlich möchte ich auf Veranstaltungen präsent sein“, sagt er.

Wie authentisch können virtuelle ­Influencer sein?

Doch auch zu den virtuellen Influencern gehört ein menschlicher Charakter. Cameron-James Wilson denkt sogar darüber nach, ob er sein Model Shudu altern lässt oder ob sie irgendwann stirbt. „Sie hat ihre ganz eigene Dimension. Vielleicht altert sie nicht optisch, sondern wird einfach reifer.“ Shudu gibt mittlerweile ­Interviews: „Ich ­wünschte, jeder könnte die Realität leben, die er für sich auf Social Media erzeugt“, sagt sie mit der Stimme einer echten Frau. Auch die anderen Influencer zeigen ihre ­Persönlichkeit: Liam Nikuro positioniert sich mit seinen Klima-Statements politisch. Bermuda lässt es gerne krachen.

Emotion und Nahbarkeit sind bei Social Media der ­Schlüssel zum Erfolg. Nur wenn emotionale Verbindungen entstehen, ­bleiben die Fans auf Dauer treu. Aber gibt es ein ethisches ­Problem, wenn die Avatare Menschlichkeit behaupten, die sie nicht haben? Ist das Betrug?

„Auf Instagram ist nichts echt“, meint Wilson und spielt ­darauf an, dass einem schicken Foto eines ­Influencers 100 unvorteil­hafte Aufnahmen gegenüberstehen. Und die bekommt niemand zu Gesicht. Nur im Ausnahmefall ­zeigen ein paar ­selbstbewusste Instagrammer unter Hashtags wie ­#instagramvsreality Vergleichsbilder, die auch ihre ungünstige Seite zeigen.

Der Mensch ist zweifellos in der Lage, auch zu einem ­virtuellen Influencer eine emotionale Beziehung aufzubauen. Das belegen die Kommentare auf den Accounts von Lil ­Miquela. Auch wenn sie nicht existiert, hat sie eine reale Wirkung. Wirtschafts­philosoph Anders Indset fordert: „Wir brauchen eine neue ­Definition von Echtheit. Wenn eine Maschine Empathie ausstrahlt, die ich spüre, dann ist das genauso real, wie wenn es von einem Menschen kommt.“

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Source: Cloudnachrichtem

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